
Musik
Amorphis – Halo
Die ikonischen Folk-Metaler aus Finnland hatten eine lange Phase mittelprächtiger Alben, auf denen im Schnitt zwei absolute Ohrwurmkracher waren; der Rest war dafür nicht so der Bringer. Vielleicht lag es daran, dass Amorphis während dieser Phase möglichst eingängige Hits schreiben wollten, dabei aber nicht gemerkt haben, dass das nicht die eigentliche Stärke der Band ist. Mit dem letzten Album Queen of Time kam dann glücklicherweise der Befreiungsschlag. Offensichtlich hatten die Jungs eingesehen, dass sie beim Ausspielen ihrer Stärken wohl eher nicht in den Charts landen können. Queen of Time war ein ungewohnt progressives und sperriges Album, das uns mit viel Herzblut und raffinierten Kompositionen überraschte. Auch auf Halo gibt es keine poppigen Ohrwürmer, die man easy nebenher beim putzen laufen lässt. Wieder haben Amorphis sich zu 200% auf das Songwriting konzentriert, weshalb das Album beim ersten Durchlauf etwas sperrig und an manchen stellen sogar erst mal lahm klingt. Wer genauer hinhört, wird jedoch mit tollen Arrangements, raffinierten Melodien und Anspielungen auf die ganz frühen Tage der Band belohnt. Halo ist ein geiles Album, wenn man ihm die Chance dazu gibt.
Zeal & Ardor – s/t
Als Manuel Gagneux 2013 auf 4Chan in die Runde fragte, welche zwei Musikstile er für einen Track kombinieren sollte, erhielt er als Antwort „Black Metal and n* music“. Und er tat es. Das Projekt, das daraus entstand, ist mittlerweile ordentlich gewachsen. Gagneux tourte mit seiner Truppe nicht nur fleißig durch die Gegend und hinterließ dabei staunende und begeisterte Fans. Das neue selbstbetitelte Album ist mittlerweile schon das dritte Studio-Release und beweist, dass der gute Mann eine ungezügelte kreative Energie und ein beeindruckendes musikalisches Genie besitzt. Auf Zeal & Ardor gibt es also wie gewohnt keine halben Sachen: Gospel, Blues und atmosphärischer Black Metal werden hier genauso gewagt wie erfolgreich in den Mixer geworfen und der Zuhörer dabei auch gleich mit. Denn einmal gestartet kann man dieses Album nur schwer wieder unterbrechen, so fesselnd und mitreißend sind die Kompositionen des Amerikano-Schweizers. Zeal & Ardor ist nicht nur Musik, sondern ein ekstatisches Erlebnis; eine Mischung aus Gospel-Gottesdienst und schwarzer Messe. Muss man gehört haben!
Venom Prison – Erebos
Zum ersten mal gehört habe ich diese Quintett aus Wales als Vorband von Trivium. Damals fielen mir Venom Prison zwar positiv auf, aber ich schrieb sie erst mal als netten Abklatsch von Walls of Jericho ab. Seit damals hat sich die Band aber ordentlich weiterentwickelt und mir mit dem neusten Album Erebos die Kinnlade runterklappen lassen. Den Vergleich mit Walls of Jericho müssen sich die vier Jungs und das Mädel zwar nach wie vor gefallen lassen; aber ich meine das mittlerweile als Kompliment. Erebos ist nach wie vor rau und brutal, aber die Band schafft es mittlerweile sehr gut, die musikalische Aggression in eine Struktur und in ein Konzept zu bringen. Damit zeigen sich zum ersten mal auf einem Venom Prison-Album Dinge wie Atmopshäre und Kohärenz, was Erebos zum besten Album der Band bisher macht.
Cult of Luna – The Long Road North
Cult of Luna sind jedes mal eines der musikalischen Highlights des Jahres, wenn sie ein Album veröffentlichen. Die letzte Veröffentlichung The Raging River war zwar eine EP, aber mit 38 Minuten länger als die meisten Alben heutzutage und definitiv eine Bereicherung für 2021. The Long Road North ist nun endlich wieder ein vollständiges Album mit einer Laufzeit von fast 70 Minuten und jeder Menge düster-atmosphärischer Goodness. Zum Stil der Band brauche ich mittlerweile nichts mehr sagen, denn diesen haben Cult of Luna schon vor Jahren gefunden. Das birgt zwar die Gefahr, auf Dauer eintönig oder einfallslos zu klingen; das Sextett aus Umeå spielt jedoch musikalisch auf so hohem Niveau, dass das nahezu ausgeschlossen ist. Das regelmäßige Einbinden von Gastmusikern, kleinen Stilbrüchen und elektronischen Samples macht jedes Album zu einem einzigartigen Erlebnis. The Long Road North ist kein Experiment wie Mariner, sondern die übliche Cult of Luna-Kost; also jede Menge Atmoshpäre, Riffs und meisterhaftes Songwriting. Das klingt für nicht-Eingeweihte eher langweilig, aber alle anderen erkennen eine Albumempfehlung, wenn sie sie sehen.
Shadow of Intent – Elegy
Shadow of Intent sollten eigentlich kein Geheimtipp mehr sein, sind es aber irgendwie immer noch. Elegy ist das mittlerweile vierte Album der Band und jetzt schon eines der ganz dicken Dinger des Jahres. Deathcore ist ja gerade ein bisschen trendy, weshalb in diesem Bereich ganz viel eintöniger oder sperrig-avantgardistischer Scheiß auf dem Markt ist. Shadow of Intent lockern ihren Deathcore aber mit vielen Einflüssen aus anderen Genres sowie symphonischen Synthesizermelodien auf. Das ganze bekommt dadurch einen Hauch von Epos und würde sich stellenweise schon fast als Soundtrack eignen. Mischungen dieser Art sind natürlich noch lange kein Erfolgsrezept, aber die kompetente musikalische Besetzung der Band regelt den Rest. Gitarrist Chris Wiseman schüttelt sowieso ununterbrochen geile Riffs aus dem Ärmel; was mit ein Grund ist, dass seine andere Band Currents bei mir auch sehr hoch im Kurs steht. Und auch sonst glänzt Elegy mit hervorragend geschriebenen und komponierten Songs, wie man sie von so jungen Bands nur noch selten zu hören bekommt. Ganz großes Kino!
Serien
Reacher (Amazon)

Die Jack Reacher Filme waren zwar unterhaltsam, verursachten bei Fans der Lee Child-Romane jedoch eher gemischte Gefühle. Tom Cruise mag zwar ein charismatischer Kerl sein, aber in den Romanen ist Jack Reacher ein großes blondes Muskelpaket. Mit Alan Ritchson hat sich Amazon für die Serienumsetzung also einen Schauspieler herausgesucht, der dem Romanvorbild eher entspricht. Die Serie startet im Gegensatz zu den Filmen auch nicht mitten in der Buchreihe, sondern beginnt beim ersten Roman „Killing Floor“. Jack Reacher, Elitesoldat im Ruhestand, geht einem kryptischen Hinweis seines verdeckt ermittelnden Bruders nach und landet im verschlafenen Örtchen Margrave, das zeitgleich zu seiner Ankunft Schauplatz einer Mordserie wird. Reacher ist natürlich sofort Hauptverdächtiger, kann jedoch seine Unschuld beweisen und deckt nach und nach auf, was es mit den Morden und der Firma Kliner Industries auf sich hat, die den ganzen Ort mitsamt der Polizei quasi gekauft hat. Mit Hilfe der smarten Polizistin Roscoe Conklin (Willa Fitzgerald) und dem frisch versetzten Großstadtkommissar Oscar Finlay (Malcolm Goodwin) deckt Reacher bald einen international operierenden Geldwäschering auf, der sowohl skrupellos als auch äußerst einflussreich ist.
Ich will gar nicht um den heißen Brei herumreden. Reacher ist keine bahnbrechende oder revolutionäre Neuerfindung des Action-/Thrillerserienformats. Die solide Story, die gut geschriebenen Charaktere (danke, Lee Child) und die hervorragend arbeitenden Schauspieler machen die Serie aber zu einem sehr unterhaltsamen Zeitvertreib. Handwerklich gibt es an dieser Serie auch nicht wirklich etwas auszusetzen. Schnitt, Effekte und Kamera sitzen perfekt; aber was mir am positivsten auffiel ist, wie schonungs- und zwanglos die Kamera auf Gewaltszenen und nackten Körpern bleibt. Reacher versucht nicht, zwanghaft familienfreundlich zu sein. Stattdessen beschert Amazon uns überraschend erwachsene Unterhaltung für ein erwachsenes Publikum, was im Jahr 2022 leider eine Seltenheit geworden ist. Kann man gucken!
The Expanse Staffel 6 (Amazon)

The Expanse beruht ebenfalls auf einer Buchvorlage und gilt für Fans seit langem schon zur besten Sci-Fi Serie, die in den vergangenen 20 Jahren gedreht wurde. Das Buchmaterial liefert natürlich auch ein sehr hochwertiges Fundament, auf dem die Macher der Serie mit viel Geschick und Blick fürs Wesentliche aufbauen. The Expanse versucht gar nicht erst, mit teuren Spezialeffekten oder brillanten eigenen Einfällen (*hust* Game of Thrones *hust*) zu klotzen, sondern fokussiert sich darauf, der komplexen Handlung und den vielschichtigen Charakteren eine Bühne zu geben. Ich will gar nicht groß auf die Einzelheiten der Story eingehen, sondern hier einfach nochmal ein Loblied darauf singen, wie genial die Serienmacher das Material umgesetzt haben. Einen großen Teil der Arbeit übernehmen dabei auch die Schauspieler, die perfekt für die Rollen ausgesucht und seit 6 Staffeln allesamt sichtbar mit viel Herzblut dabei sind. The Expanse ist ein Science-Fiction Meilenstein und verdient eure Huldigung!
Arcane (Netflix)

Der größte Abschrecker für dieses Animations-Meisterwerk ist, dass es auf dem Videospiel League of Legends beruht. Schnell steckt man es dadurch in eine Schublade und verpasst somit die wohl beste Animationsserie der letzten Jahre!
Arcane folgt den Schicksalen eines rund halben Dutzend Hauptcharaktere, die sich mit Fortschreiten der Geschichte immer öfter kreuzen und langsam miteinander verweben. Dabei geht’s um Wissenschaft, Magie, Liebe, Eifersucht, Rache und die Spaltung von arm und reich; aber all das wird so klischeefrei und gekonnt verarbeitet, dass man kaum glauben mag sowas heutzutage noch auf Netflix zu sehen. Ein tolles Drehbuch und überzeugende Charaktere brauchen aber natürlich auch eine entsprechende Umsetzung und da hat das französische Animationsstudio Fortiche ganze Arbeit geleistet. Die Mischung aus 3D-Modellen und handgezeichneten Texturen ist erfrischend anders und gibt der Serie einen ganz eigenen Look. Die Bewegungen inklusive Gestik und Mimik der Charaktere wurden mit einer Ausdrucksstärke und liebe fürs Detail umgesetzt, die die besten 90er Disney Cartoons blass erscheinen lässt. Dadurch wirken sowohl Dialoge als auch Actionszenen jederzeit glaubhaft, mitreißend und dynamisch. Arcane zieht den Zuschauer dadurch schnell in seinen Bann und trifft in so mancher Szene voll ins Herz. So muss gutes Storytelling aussehen!